Irgendwie bin ich anders als die Anderen. Das war schon immer so.
Aber was genau ist falsch mit mir?
Wie halten andere Menschen Dinge aus, die ich nicht ertragen kann?
Warum fällt es mir so unfassbar schwer, Freunde zu finden und sie zu behalten?
Warum sieht das Leben für alle auf Instagram und Co. immer so perfekt aus und wer bin ich eigentlich?
Das sind alles Fragen, die seit Jahren in meinem Kopf rumschwirren.
Um nach Antworten zu suchen, suchte ich mir mit 18 meinen ersten Psychiater und Therapeuten. Nach einem Berg von Fragebögen und katalogisierten Fragen kriegte ich meine erste Diagnose: Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Aha! Das ist es also, was mich von anderen unterscheidet. Mir wird geraten, eine stationäre DBT-Behandlung zu machen. Ich wollte nur, dass es mir besser geht. Also folgte ich dem Rat und begab mich 12 Wochen stationär in Brhandlung. Dort sollte ich lernen, wie ich mit Anspannung, selbstverletzendem Verhalten und Beziehungsproblemen umgehen kann. Außerdem wurde ich medikamentös eingestellt.
Nach wenigen Wochen habe ich zum Einen alles nur noch wie durch einen Film mitbekommen. Die Tabletten nahmen mir jegliche Form der Emotion und des Empfindens. Ich wurde quasi lahmgelegt. Außerdem waren die Menschen hier irgendwie anders als ich. Aus deren Erzählungen konnte ich feststellen, dass es zwar Überschneidungen gab, aber so richtig aus der Seele gesprochen hat mir das alles auch nicht.
Naja, ich lernte dort meine Emotionen zu „kontrollieren“. Im Endeffekt fühlte sich das Ganze wie eine Anleitung zum Still-sein an. „Sei bloß nicht du selbst“, „Du bist anders, deswegen bist du hier, denn anders ist krank“. Das sind Gedanken, die ich heute retrospektiv dazu habe. Damals hatte ich keine Ahnung, was mit mir los war und war nur dankbar, dass mir jemand verrät, wie ich mich „richtig“ zu verhalten habe. Dass mich das Ganze in meiner Entwicklung und meiner psychischen Gesundheit arg belastet hat, merke ich erst viel später.
Also laufe ich einige Jahre mit der Diagnose Borderlinestörung umher und merke, wie sehr dieser Stempel mich einschränkt. Mir werden Vorurteile entgegengebracht, auch von Ärzten, die ich kaum glauben kann. „Wir behandeln keine Borderline-Patienten, die sind unzuverlässig.“ Ich bin zuverlässig, denke ich mir. Wenn der Rahmen passt!
Einige Jahre später und inzwischen deutlich stabiler fange ich an zu hinterfragen, was nun wirklich mit mir los ist. Wenn kein Arzt sich genug mit mir auseinandersetzt, dann mache ich es eben alleine!
Ich fange an zu googeln. Nachdem ich einen Hirntumor, Hodenkrebs und Schizophrenie vorerst ausschließen konnte, lese ich „Autismus“ und beginne ganz schnell, mich in den Beschreibungen wiederzufinden. Ich lese mich immer tiefer ein und bald besteht meine ganze Social Media Bubble nur noch aus dem Thema Autismus und ADHS. Aber was ist, wenn ich mir das einbilde? Borderliner haben einen Hang zur Hypochondrie wurde mir mal gesagt. Ich trau mich nicht, mich jemandem anzuvertrauen.
Einige Wochen später dann lerne ich zufällig Verena und Eddy kennen und Volltreffer! Endlich habe ich jemanden gefunden, mit dem ich mich austauschen kann. Ich fühle mich so verstanden, wie noch nie in meinem Leben. Es fallen Sätze wie „du bist nicht krank. Du bist einfach nur ein Bär.“ „Du bist ein Pandabär, wie er im Buche steht!“. Die beiden erzählen mir von Erfahrungen, die sie im Bezug auf Bären gemacht haben und ich finde mich zum ersten Mal in meinem Leben irgendwo zugehörig und erkannt. Je mehr ich mich mit den Einstellungen der beiden auseinandersetze, desto mehr begreife ich mich selbst. Unter anderem wirklich liebevolle Worte motivieren mich dazu, auf mich selbst zu hören, all meinen Mut zusammenzunehmen und meinen Psychiater aufzusuchen.
„Ich glaube, ich bin neurodivergent. Ich möchte gerne testen, ob ich autistisch bin.“ platzt es aus mir raus. „Das glaube ich nicht“ antwortet er. Ich ermuntere mich, jetzt nicht aufzugeben. „Doch.“ sage ich und erkläre ihm meine „Symptome“. Ich sage, dass ich mich nicht lange konzentrieren kann, ständig überreizt bin, extrem zurückgezogen lebe, sehr große Schwierigkeiten im Kontakt mit anderen Menschen habe und andere Dinge. Dann füge ich hinzu „Ich bin sehr gut darin, mir nichts anmerken zu lassen, also glauben Sie bitte meinen Worten und nicht meinen Blicken.“ Er schaut mich an, als wäre er gerade aus einem Schläfchen auf seinem ICD-Kategorien-Buch aufgewacht“. „Sie haben Recht, es könnte alles viel besser passen, als ihre jetzige Diagnose. Ich schicke sie zu einem Spezialisten.“ Ich bedanke mich und bin trotzdem frustriert, dass ich zum Einen 15 Jahre nicht gehört wurde und mich zum Anderen sogar in diesem Gespräch noch rechtfertigen musste..
Zwei Monate später sitze ich vier Stunden in einem Raum mit 12 anderen Leuten, um mich auf eine Warteliste setzen zu lassen. Super, ich bin 1,5 Stunden hierhergefahren. Ich fühle mich vom Gesundheitssystem im Stich gelassen, wenn nicht sogar ein wenig verarscht.
Zwischen dem Gespräch und meinem ersten Termin bei einer Therapeutin vergehen 6 Monate. Bei ihr werden mir spezifische Fragen gestellt, die ich fast alle bejahe. Besonders wird dabei darauf geachtet, wie ich mich als Kind verhalten habe und welche Schwierigkeiten ich damals hatte. Und wer hätte das gedacht? Ich bin autistisch und hatte als Kind höchstwahrscheinlich eine sehr prägnante ADHS-Störung. Im Erwachsenenalter verhalten sich die Symptome oft anders, erklärt mir die Psychologin. Zum einen lernt man über die Jahre zu kompensieren, zum Anderen „wachsen sich manche Dinge aus“. Ich darf nun entscheiden, ob ich eine medikamentöse Einstellung testen möchte.
Es ist für mich unbegreiflich, wie viel Aufwand, Selbstdisziplin und Stärke ich aufbringen musste, um jemandem gegenüberzusitzen, der sich mit mir und meinen Schwierigkeiten wirklich auseinandersetzt. Ich möchte dabei gar nicht unbedingt den Psychiatern, den Therapeuten oder den Pflegern, denen ich auf meinem Weg begegnet bin einen Vorwurf machen. Klar ist eine wachsame Haltung immer von Vorteil. Ich denke allerdings eher, dass niemand in diesem System überhaupt geschult wird, genau das zu tun, was ein hilfsbedürftiger Mensch braucht: Ihm wirklich zuzuhören.
„Meine“ Borderline-Persönlichkeitsstörung ist nun verschwunden. Jetzt bekomme ich den neuen Stempel „Autismus“ und muss lernen damit umzugehen. Ich bin kein Fan davon, immer alles in Schubladen zu stecken. Leider muss ich aber in unserem medizinischen System in irgendeine Schublade rein, damit mir geholfen werden kann. Dank Verena und Eddy hüpfe ich nur noch für die Akten in die Schublade und nenne mich ansonsten lieber einen Bären.