Für uns ein sehr wichtiges Buch.
Aus unserer Sicht vielleicht der beste Einstieg in das Thema.
In erster Linie selbstverständlich in das Thema Autismusspektrum. Aber eben nicht nur in dieses Thema!
Es war für uns endlich eine wissenschaftliche Erklärung dafür, was wir tagtäglich in der Arbeit mit Menschen erlebten. Mit Menschen, die über eine enorme Fähigkeit verfügen Reize wahrzunehmen. Gepaart mit der Herausforderung diese Flut an Reizen in der Kürze der Zeit zu verarbeiten und/oder diese auszuhalten. Was aber eben kein Defekt ist, oder eine mangelnde Fähigkeit, sondern eine Herausforderung in unserem globalen, reizintensiven Leben. Grundsätzlich aber eben eine Fähigkeit!!!
Dies war bis dahin aber „nur“ unsere Haltung, unser Verständnis. Ließ sich aber nicht belegen, außer mit dem was Menschen uns über ihre persönliche Wahrnehmung berichteten. Wofür es aber keine Erklärung gab. Und noch viel schlimmer: was ihnen niemand glaubte geschweige denn es akzeptierte. Außer es gibt eine Diagnose! So dass es immer wieder drauf hinauslief: Du weichst von der Norm ab. Du bist nicht neurotypisch. Du befindest dich im Spektrum eines Störungsbildes.
Dieses Störungsbild – ASS = Autismusspektrumsstörung – begleitete uns ständig in unserer Arbeit als aufsuchende Familientherapeuten. Mal sehr klassisch, also so wie es in vielen Lehrbüchern beschrieben wird, aber viel häufiger eben genauso nicht. Eben ein Spektrum ohne Grenzen und mit fließenden Übergängen. Mit unglaublichen Facetten und vielen Fähigkeiten, welche begraben waren unter Herausforderungen durch das Leben in unserer Gesellschaft. Begleitet durch diverse psychosoziale Krankheitsbilder. Diese lauten zum Beispiel: AD(H)S, Borderlinestörung, Bindungsstörung, LRS (Leserechtschreibstörung/-schwäche, Dyskalkulie, Wahrnehmungsstörung, Depression, selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität, mangelnde Impulskontrolle, Angst-/ Zwangsstörung, Störung des Sozialverhaltens, sonstige emotionale Störung des Kindesalters… Diese Liste kann ewig weitergeführt werden. Dann gab es auch eine Häufung körperlicher Beschwerden: Neurodermitis, Epilepsie, Enuresis (Einnässen), Enkopresis (Einkoten), Magen-Darm-Erkrankungen… Manchmal gab es auch Querverweise zu Hochbegabung.
Quasi jede Familie die wir begleiten durften war gefühlt am Ende ihrer Kräfte. Unzählige Jugendliche, Schulkinder, Kindergartenkinder, die „verhaltensauffällig“ waren, welche den „Stempel“ einer Diagnose bekamen.
Diagnosen über Diagnosen, Krankheitsbilder, Scheitern, Verzweiflung.
Oft aber auch ohne Diagnose und damit nicht selten ohne Erklärungsmodelle. Oder mit Ideen die sich an unveränderbaren Schicksalsschlägen, oder vermeintlich unzureichender Erziehung orientierten.
Eine Lebenssituation die nicht mehr auszuhalten war. Nicht für uns, aber selbstverständlich noch viel weniger für Eltern, Kinder, ganze Familiensysteme!
Unser Bemühen war schon immer, Familien zu unterstützen wieder in ihre eigene Kraft zu kommen. Sich wieder selbstwirksam zu erleben und somit wieder die Zügel für das eigene Leben in die Hände zu bekommen. Dass dieser Grundstein aber sein sollte, eine Diagnose zu bekommen, welche beschreibt, dass ich per se „defekt“, gestört bin, wurde uns immer mehr zuwider!
Entlastung erfuhren die Familien meist selbstverständlich trotzdem. Sie wurden dadurch oftmals von der Schuld entlastet, sie seinen alleinig dafür verantwortlich, dass es so schwierig in der Familie sei, dass das Kind sich so verhaltensauffällig zeigte. Aber wir haben niemals Eltern kennengelernt, die den Gedanken mochten ihrem Kind einen Stempel aufzudrücken. Schon gar nicht mit einer „Lebensdiagnose“. Denn Autismus zum Beispiel geht ja schließlich nicht einfach weg. Autismus HAT man nicht, sondern man IST Autist.
Das Buch hat uns in unserer Arbeit insoweit unterstützt und entlastet, dass wir keine „Spinner“ waren, die irgendetwas behaupten. Zwar irgendetwas was Familien half, sie wiederum entlastete, ihnen die Möglichkeit gab ihre Familie, die Kinder zu unterstützen und dem Leben wieder eine positivere Richtung zu geben. Aber bis dato eher unsere „Meinung“ war, aber keinen wissenschaftlichen Beleg hatte. Unsere Meinung war bis dahin nur akzeptiert, wenn eben am Ende eine Diagnose erfolgte. Die selbstverständlich nicht wir erstellten, sondern das entsprechende Fachpersonal für Diagnostik.
Doch auch da gibt es, unserer Erfahrung nach, extreme Unterschiede im Wissensstand, der Diagnostik und dem Verständnis. Teilweise haben wir geradezu gruselige Aussagen von Fachleuten gehört: „Wenn ihr Kind in die Augen schauen kann, dann ist es kein Autist!“; „Wenn ihr Kind soziale Kontakte hat, dann ist es kein Autist!“… Und das sind Aussagen der letzten Jahre, nicht Jahrzehnte! Wir führen dies hier nicht weiter aus, das würde zu weit führen.
Was für uns durch dieses Buch möglich wurde, war unsere Metapher von Wolf und Bär, welche wir schon länger entwickelt hatten und in der Arbeit nutzten, mit noch mehr Leben zu füllen.
Der Begriff „Hochsensibilität“ ist der zentrale Begriff geworden. Es ist sie besonders sensible Wahrnehmung welche die Grundlage bildet für nahezu alle Phänomene, welche als „abweichendes Verhalten“, als Störung definiert werden. Aus unserer Sicht zu Unrecht! Das bedeutet nicht, dass wir die Diagnosen negieren, sie verharmlosen, die Herausforderungen die damit einhergehen nicht würdigen, ganz im Gegenteil. Wir sehen den Ursprung daraus jedoch nicht in einer Störung, sondern in der Fähigkeit der Reizaufnahme, welche durch unser Lebensumfeld „gestört“ wird. Wie es möglich wird, dass ich im Leben „behindert“ werden kann. Gehindert werde „gesund“ zu sein. Weil mir unser heutiges Leben zu viel zumutet. Zu viel für meine hohe Aufnahmefähigkeit von Reizen.
Es hat uns dabei geholfen uns zu trauen zu behaupten, dass es keine Minderheit von Menschen gibt die besonders sensibel wahrnehmen. Menschen denen nach Henry Markram weniger Filter im Gehirn zur Verfügung stehen beziehungsweise, deren Gehirnzellen mindestes doppelt so viel/ so stark feuern wie die der sogenannten neurotypischen Menschen.
Keine Minderheit! Zu Beginn haben wir schnell die veröffentlichten Zahlen in Frage gestellt. Offiziell gelten 1-3% der Weltbevölkerung als autistisch. Hier haben wir oft schon von mindestens 10% gesprochen. Je mehr wir begriffen, dass die Wahrnehmung, welche Henry Markram in seinen Hirnforschungsstudien beschrieb, nicht nur auf Autisten zutrifft, sondern auf fast all die Menschen, welche die oben genannten Diagnosen erhalten, desto höher wurde die Prozentzahl. Darüber hinaus traf dies aber auch auf unzählige Menschen zu, die für sich bestimmte Bereiche beschreiben, in welchen sie genauso wahrnehmen, sich genauso herausgefordert fühlen. Also hochsensibel, aber keine Erklärung und entsprechend keine Diagnose.
Heute sagen wir: die Menschheit ist geteilt. 50/50! Die einen sind in ihrer Grundlage eher bärig – hochsensibel. Die anderen eher wölfisch – sensibel. Und ich kann Anteile von beidem haben, in unterschiedlich gewichteten Anteilen. Und ob mich meine hoch sensible Wahrnehmung beeinträchtigt und in welchem Maße hat mit vielen Faktoren zu tun.
Das was uns am Herzen liegt ist Menschen die Möglichkeit zu bieten sich als ok zu erleben. Und zwar nicht irgendwie okay! Sondern im Sinne von „normal“, „gesund“, nicht defekt, keine Minderheit. Aber herausgefordert. Nicht verstanden. Nicht akzeptiert.
Und das darf nicht so bleiben!
Wir wünschen Kindern ein unbeschädigtes Ego! Ein Ego welches sie zu gesunden, glücklichen Menschen werden lässt, die ihr Leben, die Welt gestalten können. Egal, ob Wolf oder Bär. Denn beide sind für das Gleichgewicht der Natur der Menschheit elementar! Im Verständnis! In der Akzeptanz!